Frau Holle

„Feste feiern wie sie fallen“ - wir Alle lieben das Ausgelassensein und fröhliche Zusammenkünfte. Mittsommer-  und Mittwintersonne markieren ebenso wie Frühlings- und Herbstgleichstand vier markante Punkte im Jahreskreis, die mit Freudenfesten seit vielen vielen Jahren zelebriert werden. Diese Daten zusammen mit den sogenannten Zwischenfeiern unterteilen das Jahresrad in acht Speichen mit jeweils unterschiedlichen Qualitäten.

Hier sollen die verschiedenen Charakteristiken dieser Festlichkeiten vor allem in Bezug auf die wechselnden Aspekte der auch als Erdgöttin bekannten Frau Holle und der jeweils dazugehörenden Pflanzen dargestellt werden. Die Verortung von Frau Holle bezieht sich auf bestimmte Plätze am und um den Meissner, ihrem nordhessischen Wohnort und höchsten Berg der Umgebung. Die Idee zu diesem Artikel kam mir während meiner ehrenamtlichen Arbeit im Holleum, dem Frau-Holle-Museum in Hessisch Lichtenau, wo ich für die „Kräuterwelt“ der Holle zuständig bin, Besucher informiere, Gruppen führe und Frischpflanzen präsentiere.

Mit Lichtmess oder Imbolc Anfang Februar wird die Wiederkehr der während der Winterruhe verjüngten Vegetationsgöttin gefeiert. Die merkliche Zunahme der täglichen Helligkeit sowie das erwachende Leben der Pflanzenwelt, beginnender Saftstrom in den Bäumen, Anschwellen der Knospen und erste Blüten (wie vom Huflattich) geben Anlass für Wünsche und Hoffnungen auf eine Erntefülle im Spätsommer. Birke, Weide, Hasel, Schneeglöckchen und Zaubernuss u.v.a. Pflanzen symbolisieren diesen Zeitpunkt. Frau Holle bezieht nun wieder ihr Schloss am Grunde des Frau-Holle-Teichs, der sich an der Ostseide des Meissners oder Wissners (alter Name des Berges) befindet. Hier wurde Frau Holle bereits seit mehreren Jahrhunderten schriftlich manifestiert (s.a.: Deutsche Sagen der Brüder Grimm). Manchmal läutet sie ein Glöckchen, welches dann allerdings nur von Sonntagskindern gehört werden kann.  Sie wurde am Teich auch schon um die Mittagszeit als Erscheinung gesehen – die Tageszeit, zu der nur Göttinnen und Engel sich zeigen, im Gegensatz zu nächtlich auftretenden Geistern und Dämonen.

Etwa 6 Wochen später, wenn Tag und Nacht gleich lang sind, wird das Fest der Ostara, heute unter dem Namen Ostern bekannt, mit roten Eiern und Hasenbraten begangen. Rote Farbe und Hasen symbolisieren Fruchtbarkeit. Als Flora oder Frühlingsgöttin wandert die noch junge Frau Holle über Wiesen und Felder und aus ihren Fußstapfen sprießt das neue Grün. Kultspeisen wie „Grüne Neune“ mittlerweile als „Grüne Soße“ oder Kräuterquark beliebt, beinhalten vitalisierende, entschlackende und schmackhafte Zutaten wie Beifuß, Brennnessel, Löwenzahn, Giersch, Gundelrebe, Gänseblümchen und Bärlauch. Zu Sonnenaufgang wird in der Kammerbacher Höhle schweigend Osterwasser geschöpft, das Gesundheit und Schönheit übers Jahr gewähren soll.

Beginn Mai liegt das Beltane-Fest, auch als Walpurgisnacht bekannt. Felder werden gepflügt, Maibäume, meist junge Birken oder Ebereschen, werden mit bunten Blumenkränzen geschmückt und der Mädchenaspekt der Erdgöttin Holle wandelt sich zu dem der  lustvollen Geliebten. Fruchtbarkeit und Ausgelassenheit sind die Zentralthemen dieses Festes. Fruchtbarkeitsrituale, die den Fortbestand der Menschheit gewährleisten soll(t)en, sind heute im Zuge der Überbevölkerung nicht mehr relevant und werden mehr oder weniger verpönt, obgleich Fruchtbarkeit ja die Grundlage allen Lebens ist. Berauschende Waldmeister-Bowle, Holunderblüten-Sekt oder der sinnliche Duft vieler Rosengewächse wie Weißdorn und Vogelbeere gehören zu den Feierlichkeiten. Frau Holle sitzt nun oft auf ihrem Stuhl auf dem Meißner und ergötzt sich an der Schönheit des Lebens. Den Stuhl symbolisiert ein alter Stein auf der Hutewiese am Südhang des Meissners, in der Nähe des Naturfreundehauses.

Die Sommersonnenwende am 21. Juni, das Johannisfest,  gilt als „Höhepunkt der Fülle“ und Frau Holle reift zur Fruchtbarkeit spendenden Ernährerin.  Ausgelassene Tänze rund um die Sonnenwendfeuer gipfeln im Sprung über die Flammen. Dieser symbolhafte Übergang von der ersten Jahreshälfte in die zweite durch reinigendes Feuer soll Krankheiten und anderes Unheil abwehren. Johanniskraut, Beifuß, Erd-, Him- und Brombeeren im Überfluss bereichern die Festlichkeiten. Auf der Kalbe, ganz oben auf dem Meißner-Plateau, genießt Frau Holle die Qualitäten des Hochsommers. Der Sage nach soll die Holle rüpelhafte und dem Alkohol verfallene Männer in Kälber verwandelt und auf die Kalbe verbannt haben. Unartige, faule Mädchen hingegen hat sie in Kitze (Käuzchen oder Kätzchen) verwandelt und in die Kitzkammer bei Hausen, dem höchst gelegenen nordhessischen Dorf,  gesteckt haben.

Anfang August, zu Lughnasad oder dem Schnitterfest, zieht die Göttin Holle als Schnitterin langsam gen Westen. Mit der Mondsichel in der Hand beginnt sie, Korn und Früchte zu ernten. Schafgarbe, Dill, Baldrian und Pilze werden zu Heilmitteln konserviert. Auf den Holl(e)steinen in Hollstein sitzend wärmt sie sich in der Nachmittagssonne. Diese drei Steine hatten ehemals der Holle auf einem Spaziergang über ihren Berg in den Schuhen gedrückt, so dass sie diese ausschüttete und die Steine in Hollstein landeten.

Mitte September feiern wir Erntedank, früher unter dem Namen Mabon bekannt. Das christliche Pendant hierzu heißt Maria-Lichtmess. Frau Holle wird zur Alten Weisen, Licht weicht mehr und mehr der Dunkelheit und die Feierlichkeiten beinhalten Dank für ein ertragreiches Jahr und Wünsche für eine erneute Fülle im Folgejahr.  Pflanzen haben die volle Sommersonne zum Aufbau ihrer Wirkstoffe genutzt und werden traditionell zu Kräutersträußen („Kräuter-Wischen“) gebunden, geweiht und in Haus und Stall aufgehängt, um im Krankheitsfall von Mensch oder Tier als Heilmittel genutzt zu werden. Hagebutten, Thymian zusammen mit seinen duftenden Pflanzengeschwistern sowie Vogelbeere und Schlehe geben Schutz gegen Übel und Krankheitserreger. Am Abteröder Bär oder Todesstein spinnt Frau Holle die Schicksalsfäden, die den Altweibersommer versinnbildlichen. Hier am westlichen Ortsausgang von Abterode steht auch eine uralte Kirchenruine neben dem Bärenstein.

Am 1. November wird das Ahnenfest, Allerheiligen/Allerseelen oder auch Samhain genannt begangen. Frau Holle zieht sich nun in die Erde, bei uns im Kreis in den Meißner zurück, um Kraft und Energie zu sammeln für das nächste Jahr. Ab jetzt werden keine Kräuter mehr gesammelt, aber viele Kräuterteile wie Schafgarbenstängel zum Orakeln genutzt – denn Neugier auf die  Zukunft gepaart mit Wünschen und Hoffnungen sind uns Menschen eine Herzensangelegenheit. Für die Ahnenspeise, die hinter dem Haus oder auf der Fensterbank bereitgestellt wird, stehen Nüsse, Obst, Milch und Getreideprodukt zur Verfügung. Steckrüben (heutzutage durch Kürbisse ersetzt) und vor Allem geistbewegende Pflanzen wie Schlafmohn, Tollkirsche und Hanf sind die Vertreter der Pflanzenwelt zu diesem Fest. Frau Holle zieht sich in ihre Badestube am Westhang des Meißners zurück, um von dort in der dunklen Zeit durch den Berg zu ziehen, und zu Imbolc erscheint sie dann wieder verjüngt und voller neuer Lebenskraft an ihrem Teich.

Zur Wintersonnenwende, als Jul oder auch Weihnachten zelebriert, zieht die Große Göttin Holle dann  einige Tage als Anführerin der „Wilden Jagd“ umher, auf der Suche nach dem Sonnenhirschen, dem wiederkehrenden Licht für das neue Jahr. In ihrem Gefolge befinden sich u.a. die Seelen der zu früh verstorbenen Kinder, die sich ihr übers Jahr angeschlossen haben und die sie bis zu deren Wiedergeburt betreut – diese Seelchen warten dann auf den Seerosenblättern des Holle-Teiches oder als Gänseblümchen auf der angrenzenden Wiese auf Adebar, der sie zu ihren neuen Familien bringen wird.